Positionspapier 12-25-5
1. Einleitung
Die Rabattverträge zwischen gesetzlichen Krankenkassen und Pharmaunternehmen nach § 130a SGB V sollten ursprünglich Kosten senken, ohne die Versorgung zu gefährden. In der Praxis haben sie jedoch zu einem bürokratischen, intransparenten System geführt, das Apotheken belastet, die Versorgungssicherheit gefährdet und Fehlanreize im Arzneimittelmarkt setzt.
Der Bundesfachausschuss (BFA) Gesundheit, Pflege und Sport von BÜNDNIS DEUTSCHLAND fordert daher die Abschaffung der Rabattverträge und eine grundlegende Neuordnung der Arzneimittelpreisgestaltung.
2. Zahlen und rechtlicher Rahmen
Rechtsgrundlage: §§ 129 und 130a SGB V
Ende 2023 bestanden ca. 39.500 Rabattverträge zwischen 94 gesetzlichen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen.
Durch deren Umsetzung haben Apotheken im Jahr 2023 Einsparungen von 5,8 Mrd. € für die Krankenkassen erzielt – bei gleichzeitig wachsendem Aufwand, der nicht angemessen vergütet wird.
Apotheken sind verpflichtet, rabattierte Präparate abzugeben, auch wenn dies logistisch oder wirtschaftlich kaum darstellbar ist.
3. Hauptprobleme
a) Bürokratische Überlastung & Retaxationsrisiken
Apotheken müssen täglich unzählige Rabattverträge beachten, alternative Präparate bestellen, Lieferungen prüfen und Patienten beraten. Lagerhaltung ist faktisch unmöglich. Kleinste Formfehler führen zu Retaxationen (nachträgliche Kürzungen oder komplette Nichtbezahlung durch die Krankenkasse), obwohl die Versorgung korrekt erfolgt ist. Krankenkassen betreiben eigene Prüfgesellschaften zur Retaxation – auf Kosten der Versicherten.
b) Lieferengpässe durch Fehlanreize
Exklusive Rabattverträge und Dumpingpreise machen den deutschen Markt für Hersteller zunehmend unattraktiv. Folge: Lieferengpässe, während dieselben Präparate in Nachbarländern verfügbar sind. Besonders kritisch ist dies bei lebenswichtigen Arzneien (z. B. Onkologie). Die sogenannte Lieferengpasspauschale von 0,50 € deckt nur ca. 24 Sekunden Arbeitszeit – völlig realitätsfern.
c) Unfaire Lastenverteilung
Krankenkassen profitieren finanziell, Apotheken tragen die operative und bürokratische Last. Honoraranpassungen blieben aus, die befristete Erhöhung des Kassenabschlags war ein zusätzlicher Affront.
d) Patient im Mittelpunkt – das richtige Medikament, nicht das billigste
Im Mittelpunkt jeder Arzneimittelversorgung muss der Patient stehen. Entscheidend ist, dass das medizinisch richtige Präparat abgegeben werden kann – unter Berücksichtigung der Galenik (Zubereitung und Darreichungsform).
Insbesondere bei sensiblen Patientengruppen wie Kindern, älteren Menschen oder chronisch Kranken kann ein Präparatewechsel erhebliche Folgen haben: veränderte Wirkstofffreisetzung, unterschiedliche Hilfsstoffe, erschwerte Anwendung oder Verunsicherung durch wechselnde Packungen und Bezeichnungen. Rabattverträge orientieren sich ausschließlich am Preis und untergraben damit das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt, Patient und Apotheke. Sie erschweren eine patientenzentrierte, sichere und individuell passende Arzneimitteltherapie.
e) Forschungs- und Produktionsverlagerung ins Ausland
Ein weiterer negativer Effekt der Rabattverträge ist die schleichende Verlagerung von Forschung und Entwicklung ins Ausland.
Wenn bestimmte Medikamente von den Krankenkassen aufgrund niedriger Erstattungspreise nicht mehr bezahlt werden, bricht für Hersteller der deutsche Markt weg – und mit ihm die Grundlage für weitere Investitionen in Forschung und Entwicklung hierzulande. Forschungsaufträge wandern zunehmend in andere Länder ab, wo wirtschaftlich tragfähigere Rahmenbedingungen bestehen.
Damit wird nicht nur der Forschungsstandort Deutschland geschwächt, sondern auch die Abhängigkeit von internationalen Märkten verschärft. Die Folge: steigende Importabhängigkeit, zunehmender Medikamentenmangel und Verlust pharmazeutischer Souveränität.
4. Forderungen des BFA Gesundheit, Pflege und Sport
Abschaffung der Rabattverträge nach § 130a SGB V.
Einführung eines transparenten, einheitlichen und wirtschaftlich tragfähigen Preissystems ohne exklusive Rabattbindungen.
Faire Honorierung der Apothekenleistungen, insbesondere für Beschaffung, Beratung und Versorgungsaufwand.
Stärkung der Arzneimittelsouveränität durch marktfähige Preise und Diversifizierung der Lieferketten.
Konzentration der Versichertengelder auf Versorgung statt auf Retaxations- und Verwaltungsapparate.
Patientenzentrierte Arzneimittelwahl unter Berücksichtigung der Galenik.
Sicherung des Forschungs- und Produktionsstandorts Deutschland durch verlässliche Rahmenbedingungen.
5. Schlussbemerkung
Die Rabattverträge haben ihre steuernde Funktion verfehlt und belasten das Versorgungssystem in Deutschland massiv. Sie gefährden die Verfügbarkeit lebenswichtiger Arzneimittel und untergraben die wirtschaftliche Basis vieler Apotheken.
BÜNDNIS DEUTSCHLAND setzt sich dafür ein, diese Fehlentwicklung zu beenden und die Arzneimittelversorgung wieder auf eine verlässliche, faire und transparente Grundlage zu stellen.
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Bundesfachausschuss 12 (Gesundheit, Pflege und Sport)
Birgit Ruder, Leiterin, BFA 12 | 07.10.2025