Positionspapier 10-24-1
In der politischen Diskussion werden Begriffe wie links, rechts, liberal, konservativ oder progressiv mit einer großen Beliebigkeit verwendet. BÜNDNIS DEUTSCHLAND hat klugerweise darauf verzichtet, sich in dem eindimensionalen rechts-linken Kontinuum zu verorten, was die Partei nicht davor schützt, als „rechts“ bezeichnet (und stigmatisiert) zu werden. Die Selbstbezeichnung als freiheitlich-konservativ bzw. liberal-konservativ erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, denn der Diskurs um Bewahrung und Aufbruch begleitet die Menschheitsgeschichte inklusive Philosophie und Politik.
Doch was bedeutet liberal-konservativ, insbesondere wenn es darum geht, Deutschland vor dem wirtschaftlichen Niedergang zu bewahren? Um mit dem zweiten Teil des Begriffes und einem Beispiel zu starten: Die AfD fordert, dass wir aus der Energiewende aussteigen. Dies ist – sachlich betrachtet und ohne die üblichen Diffamierungen – eine konservative Forderung. Beharrlichkeit und Standhaftigkeit gegenüber den Moden der Zeit ist zunächst einmal typisch konservative Tugenden. Diese Tugend verkehren sich aber dann in das Gegenteil, wenn versucht wird, die Zeit festzuhalten oder gar zurückzudrehen. Unbestritten: es gibt sehr gute Gründe, die Sinnhaftigkeit des Verbotes von Neuzulassungen von Autos mit Verbrennermotoren in der Europäischen Union (EU) ab 2035 in Frage zu stellen. Das ändert aber nichts daran, dass sich die deutschen Automobilhersteller auf wichtigen Absatzmärkten außerhalb der EU der Elektromobilität stellen müssen.
Rund um die erneuerbaren Energien sind weltweit neue Märkte entstanden, die für zahlreiche deutsche Unternehmen und die Entwicklung von Regionen (z. B. an der Nord- und Ostseeküste) höchst relevant sind. Ein unbedachter Kahlschlag würde Arbeitsplätze und Know-how vernichten, und ebenso das bereits erheblich beschädigte Vertrauen von Unternehmen und Bürger in die Verlässlichkeit der Politik.
Umgekehrt gilt aber: blinder Eifer schadet nur – insbesondere, wenn Menschen den Moden der Zeit, ohne nachzudenken folgen. Ein Konservativer setzt eher auf Evolution statt Revolution und reißt ohne Grund keine Brücken ab, sofern nicht zuvor eine neue Brücke gebaut wurde. Wohin die Nichtbeachtung dieses Grundsatzes führt, erleben wir in diesen Tagen: Mitten in der vom Krieg in der Ukraine verursachten Energiekrise wurden die verbliebenen Atomkraftwerke aus ideologisch motivierten Gründen vom Netz genommen. Von der ersten Sekunde an musste der fehlende Strom durch importierten Atom- und Kohlestrom kompensiert werden. Die deutschen CO2-Emmissionen sind in die Höhe geschossen, ebenso wie die Strompreise. Unternehmen gehen in Konkurs, stellen Investitionen ein oder verlassen Deutschland. Die Zukunftsaussichten für den Wirtschaftsstandort Deutschland sind düster. Und zugleich darf bezweifelt werden, dass Unternehmen im Ausland nachhaltiger als in Deutschland produzieren.
Doch wie schaut es um den Liberalismus aus? Hierzu ein Beispiel aus der Politik: Die EU-Kommission hat den sogenannten Green Deal entwickelt. Bereits der Titel ist eine Mogelpackung. Ein Deal, d. h. ein Vertrag basiert auf einer übereinstimmenden Willenserklärung. Einen solchen Deal der EU mit Unternehmen gibt es aber nicht. Vielmehr werden die Unternehmen ungefragt mit Gesetzen überzogen, die unternehmerische Freiheiten massiv einschränken und außerdem von Drittländern z. B. in Südamerika als kolonialer Protektionismus betrachtet werden. Die Kosten für die Kapitalbeschaffung in Zukunft weniger von ökonomischen Kennzahlen, sondern von der Erfüllung der ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) ab. Hinzu kommen die bürokratischen Auflagen, sei es im Zusammenhang mit der ESG-Taxonomie, CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) oder dem Lieferkettengesetz (gegen das sich die FDP glücklicherweise sperrt), die ein unternehmerisches Denken und Handeln ersticken.
Es fehlt nicht nur das Verständnis für liberale Werte; auch das Abwägen der Machbarkeit (inklusive der Beachtung der Warnungen aus der Wirtschaft) findet keine Beachtung. Und die Regelungswut in Brüssel wird in Deutschland besonders gründlich umgesetzt, weshalb die aktuelle Bundesregierung seit Amtsantritt rund 1.800 neue Ministerialbeamte eingestellt hat.
Die Bevormundung der Bevölkerung beim Heizungseinbau hat vor allem nachhaltige Politikverdrossenheit und im letzten Jahr Rekordzahlen beim Einbau von Gasheizungen erzeugt. All die nicht marktkonformen Reformen erzeugen außerdem einen Subventionsaufwuchs, der seriös nicht finanzierbar ist, wie das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung aufgezeigt hat.
Wie bereits Adam Smith erkannt hat: nicht Bürokraten schaffen Wohlstand, sondern mündige Bürger, Unternehmen und Märkte. Allerdings müssen „Spielregeln“ für die Märkte gelten – deshalb ist der Ordoliberalismus der Freiburger Schule (nicht zu verwechseln mit dem Neoliberalismus) eine zentrale Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, die allerdings zunehmend in Vergessenheit gerät.
Wie können Liberalismus und Konservatismus zusammengedacht und -gebracht werden? Andreas Rödder, Professor für neueste Geschichte an der Universität Mainz und einer der Initiatoren der Denkfabrik R21, hat den Begriff des liberalen Konservatismus definiert. Der liberale Konservatismus glaubt nicht „einseitig an die neoliberale Illusion von Märkten als den Orten schneller und rationaler Entscheidungen, die man nur freisetzen müsse. […] Er setzt auf Erfahrung und Alltagsvernunft statt Utopie und Deduktion, auf Pragmatismus statt Dogmatismus, und er hat einen Sinn für die nicht intendierten Konsequenzen intentionalen Handelns. […] Mit seinem Verzicht auf Rigorismus, Dogmatismus und Unbedingtheit kommt ein liberaler Konservatismus der offenen Gesellschaft vielleicht weniger sexy daher als grosse Entwürfe und einfache Antworten, als moralisierende Identitätspolitik und nostalgischer Fundamentalismus. Am Ende und im Kern aber ist ein solcher Konservatismus attraktiv. Denn er ist vor allem eines: menschenfreundlich.“ (NZZ am 29.09.2020)
Was bedeutet liberaler Konservatismus für die deutsche Wirtschaftspolitik, beginnend bei der Klimapolitik? Zunächst einmal: statt moralischer Überheblichkeit und Belehrung der Welt benötigen wir mehr Realismus und Bescheidenheit hinsichtlich der eigenen Möglichkeiten. Die jährliche Weltbevölkerung wächst jährlich um rund 70 Millionen Menschen, was bereits die limitierten Möglichkeiten von Deutschland mit rund 84 Millionen Einwohnern aufzeigt.
Der britische Schriftsteller und Satiriker Konstatin Kisin hat die Grenzen des Machbaren im Januar 2023 in einem vielbeachteten Vortrag an der Universität Oxford (zu finden auch auf Youtube) auf den Punkt gebracht. „Dieses Land ist für zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, was bedeutet, dass es absolut keinen Unterschied für den Klimawandel machen würde, wenn Großbritannien jetzt im Meer versinken würde. Und wissen Sie, warum? Weil die Zukunft des Klimas in Asien und Lateinamerika entschieden wird, und zwar von armen Leuten, die sich einen Dreck um die Rettung des Planeten scheren. Die Zukunft des Klimas wird in Asien und Lateinamerika von armen Leuten entschieden werden, denen die Rettung des Planeten völlig egal ist. Wissen Sie warum? Weil sie arm sind (…) Sie werden diese Menschen nicht dazu bringen, arm zu bleiben. Wir können in diesem Land nur eines tun, um den Klimawandel zu stoppen: durch wissenschaftliche und technische Durchbrüche, um Energie zu produzieren, die nicht nur sauber ist, sondern auch günstig.“ Die Formulierungen von Konstatin Kisin lassen sich 1:1 auf Deutschland übertragen. Nicht selten ist zu hören, dass Deutschland bei der Bekämpfung des Klimawandels Vorbild für andere Staaten sein soll. Dies Einlösung dieses ambitionierten bis vermessenen Anspruchs wird nur dann möglich sein, wenn Deutschland ökonomisch erfolgreich ist, was bei der aktuellen Politik nicht zu erwarten ist.
Fazit: Deutschland steht als vom Außenhandel abhängiger Staat zwangsweise im internationalen Wettbewerb. Wie bereits Joseph Schumpeter geschrieben hat: Unternehmen, die Neuerungen verschlafen oder verweigern, werden im Prozess der kreativen Zerstörung vom Markt gefegt. Und Staaten, die sich dem Fortschritt verweigern, verlieren nicht nur ihren Wohlstand, sondern auch ihre sogenannte Softpower zur Wahrung der eigenen Interessen auf dem internationalen diplomatischen Parkett.
Deutschland wird nicht auf den Erfolgspfad zurückkehren, wenn versucht wird, die Zeit zurückzudrehen. Notwendig ist vielmehr die Rückbesinnung auf liberal-konservative Werte, wenn wir in Zukunft nicht nur in Wohlstand, sondern auch Freiheit und Sicherheit leben wollen.
Ökonomischer Erfolg und Wohlstand bedingen zunächst einmal Offenheit für Fortschritt und Technologien (inklusive beispielsweise Kernspaltung, Kernfusion und CO2-Speicherung), Pragmatismus statt blinder Ideologie und das Erkennen der eigenen Grenzen. Eine konservative Tugend wie Standhaftigkeit ist zeitlos, sofern sie nicht mit dem Festhalten an Vergangenem aus Angst vor Veränderungen verwechselt wird. Weitere konservative Tugenden, die auch Helmut Schmidt zu schätzen wusste, sind Berechenbarkeit und Pflichtgefühl. Aus der Perspektive des Liberalismus benötigen wir Vertrauen in mündige Bürger statt kleinkarierter Bevormundung. Hinzu kommt die Notwendigkeit eines sogenannten Entrepreneurial Mindsets nicht nur im Sinne des unternehmerischen Denkens und Handelns im Arbeitsleben. Entrepreneurial Mindset meint auch die Wertschätzung und Förderung von Engagement, Offenheit und insbesondere Diskursfähigkeit, die in unserer Gesellschaft verloren gegangen ist.