Positionspapier 8-24-4
Nach Abschaltung der letzten deutschen Kernkraftwerke am 15. April 2023 wird die Frage einer möglichen Inbetriebnahme der abgeschalteten Anlagen kontrovers diskutiert.
Als Gründe für eine Wiederinbetriebnahme gilt beispielsweise der akute Rückgang der deutschen Industrieproduktion, hier insbesondere in den energieintensiven Sektoren, durch stark gestiegene Energiekosten. Eine Angebotsausweitung an grundlastfähiger, kostengünstiger und CO2-armer Energie könnte einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung der Industrie und der Bürger leisten.
Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation in Deutschland, bietet sich dazu jetzt die Chance. Nach der Reform des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) wurden Emissionszertifikate zuletzt deutlich teurer. Dadurch verteuert sich die Kohleverstromung. Auch Strom aus Erdgas ist durch diese künstlich gelenkte Verteuerung betroffen. Somit fehlen kostengünstige Alternativen zu fossilen Brennstoffen.
Fachleute wussten es schon lange, aber die Warnungen verhallten ungehört im Ampel-Politbetrieb: Mit der Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke vollzog Deutschland die Wandlung vom Netto-Stromexporteur zum Stromimporteur. Durch die Stromproduktion der deutschen Kernkraftwerke war es in Summe günstiger, Strom selbst zu erzeugen und nicht zu importieren. Mit Abschaltung der letzten Kernkraftwerke hat sich dieses Szenario umgekehrt. Heute wird Strom meist zu geringen oder zeitweise sogar negativen Preisen exportiert und zu hohen Preisen importiert. Ein Verlustgeschäft für die deutsche Wirtschaft und den Steuerzahler.
Der internationale Vergleich zeigt, dass durch den deutschen Atomausstieg die Strompreise besonders für die heimische Industrie gegenüber dem ausländischen Wettbewerb deutlich anstiegen.
In der Folge reduziert die energieintensive Industrie ihre Produktion, stoppt Investitionen oder wandert komplett ab. Ein erster notwendiger Schritt vor einer Wiederinbetriebnahme abgeschalteter Kraftwerke ist der politische Wille sowie die Schaffung geeigneter rechtlicher Rahmenbedingungen. In Deutschland wäre zunächst das Atomgesetz zu ändern, welches in die Verantwortung der Bundesregierung fällt. Dies erfordert eine politische Mehrheit.
Weiterhin sollte die Bevölkerung im Umkreis der betroffenen Anlagen einer Wiederinbetriebnahme zustimmen. Gegen deren Willen eine solche Entscheidungen zu treffen, trägt nicht zu einer langfristigen Akzeptanz bei. Zudem müsste sich ein Betreiber einer solchen Anlage finden, der eine Wiederinbetriebnahme vornehmen würde, was durch den teils fortgeschrittenen Rückbau eine Frage der Wirtschaftlichkeit ist.
Weitere Randbedingungen können dabei die politische oder gesamtgesellschaftliche Willensbildung spielen, etwa der Wunsch sich eine technologieoffene, unabhängige und CO2-arme Stromproduktion aufzubauen.
Nicht zuletzt müssen auch ausreichend Fachkräfte für den Anlagenbetrieb und die Überwachung zur Verfügung stehen. Auch an den Hochschulen und Universitäten wäre ein Ausbau, die Stärkung bzw. Wiederbelebung der dazu erforderlichen Studiengänge erforderlich; ebenso müssten die industriellen kerntechnischen Ressourcen und nukleare Industriedienstleistungen reaktiviert und ausgebaut werden.
Auch ergibt sich die Frage, ob sich ein bereits abgeschaltetes KKW noch in einem Zustand befindet, der technisch und genehmigungsrechtlich gesehen eine Wiederinbetriebnahme erlaubt. Durch den Rückbau, aber auch durch lange Standzeiten, könnten wesentliche oder wichtige Bauteile bzw. ganze Baugruppen unbrauchbar geworden sein.
Alle diese Maßnahmen und Randbedingungen sind grundsätzlich erreichbar, erfordern jedoch ein klares politisches und gesellschaftliches Bekenntnis zur Kernenergienutzung.
In Deutschland gibt es nach wie vor eine sehr gut aufgestellte kerntechnische Industrie, welche die Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken unterstützen und begleiten könnte, sei es durch Servicedienstleistungen oder die Lieferung von neuen Brennelementen.
Aktuelle Beispiele für die Rückholung von Kernkraftwerken gibt es aus den Vereinigten Staaten von Amerika: Das Kernkraftwerk »Palisades« war von 1971 bis 2022 in Betrieb und soll bis Ende 2025 erneut in Betrieb genommen werden. Erst kürzlich wurde vom Betreiber Constellation angekündigt, das Kernkraftwerk »Three Mile Island 1«, das 2019 abgeschaltet wurde, im Rahmen eines auf 20 Jahre laufenden Stromliefervertrages mit Microsoft, wieder in Betrieb zu nehmen. Die Rahmenbedingungen in Deutschland sind aber nicht direkt mit den USA vergleichbar.
BÜNDNIS DEUTSCHLAND setzt auf einen diversitären, unabhängigen, bezahlbaren und umweltfreundlichen Energiemix. Dieser beinhaltet neben erneuerbaren Energien auch hocheffiziente und mit modernster Technik betriebene Gas- und Kohlekraftwerke sowie Kernenergie und die Investition in die Entwicklung weiterer Erzeugungsformen. Die Betrachtung der Kernenergienutzung erfolgt dabei ohne ideologische Scheuklappen und beinhaltet im Rahmen der benannten Rahmenbedingungen sowohl die aktuelle Kraftwerksgeneration als auch kommende Konzepte der kerntechnischen Energieerzeugung.