“Je freier eine Wirtschaft ist, desto sozialer ist sie.” (Ludwig Erhardt)
Nach heutiger historischer Rezeption ging Deutschland in der Implementierung der Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderweg und ergänzte das System der freien Marktwirtschaft durch eine soziale Komponente. Ludwig Erhard, der als Vater des deutschen Wirtschaftswunders gilt, wird gemeinhin auch als Erfinder der sogenannten “Sozialen Marktwirtschaft” tituliert. Wobei Erhards Definition der sozialen Marktwirtschaft nur wenig mit dem heutigen Verständnis des Begriffes gemein hat.
Erhard studierte Volkswirtschaftslehre in Nürnberg und Frankfurt, wo er bei Franz Oppenheimer promovierte. Oppenheimer prägte ihn mit der Idee einer marktorientierten Wirtschaft, die soziale Gerechtigkeit durch Wettbewerb fördert. Erhard war von der Freiburger Schule und dem Ordoliberalismus beeinflusst, insbesondere durch Walter Eucken, der Wettbewerb als zentrale Säule einer freien Wirtschaft betonte, aber mit staatlicher Ordnungspolitik.
Während der 1920er und 1930er Jahre arbeitete Erhard am Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigindustrie in Nürnberg. Dort analysierte er Marktmechanismen und Konsumverhalten, was ihm ein tiefes Verständnis für die Funktionsweise von Märkten vermittelte. Seine Ablehnung der nationalsozialistischen Planwirtschaft verstärkte seinen Glauben an marktwirtschaftliche Prinzipien.
Erhard war überzeugt, dass wirtschaftliche Freiheit und Wohlstand nur durch Wettbewerb und individuelle Initiative entstehen können. Sein Konzept der sozialen Marktwirtschaft, wie in seinem “Buch Wohlstand für Alle” (1957) beschrieben, kombinierte marktwirtschaftliche Freiheit mit sozialer Verantwortung. Wobei Ludwig Erhard die soziale Verantwortung immer in der Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft sah und nicht in der Entmündigung eines allumfassenden Sozialstaats.
Als Leiter der Wirtschaftsverwaltung der Bizone (der amerikanischen und britischen Besatzungszonen) war Erhard zuständig für die Währungsreform 1948. Er ging ein großes Risiko ein, als er ohne Erlaubnis der amerikanischen Militäradministration die Preiskontrollen über Nacht fallen ließ. Es waren also nicht die Amerikaner, die die soziale Marktwirtschaft einführten, sondern vor allem Ludwig Erhard. Es wird folgende Anekdote erzählt:
Nachdem Ludwig Erhard die Preiskontrollen abschaffte, wurde er am nächsten Tag vor den amerikanischen General Lucius D.Clay zitiert und bekam ziemlichen Ärger. Wie er es denn wagen könne, eigenmächtig alliierte Preisvorschriften abzuändern, blaffte ihn Clay an. Daraufhin Erhard kühn: “Ich habe die Vorschriften nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.” “Aber alle meine Berater sind gegen Ihr Vorgehen”, erwiderte Clay. “Meine Berater auch”, gab Erhard zurück.
Wie auch immer, innerhalb einer Woche(!) waren in einem Land, das vorher gehungert hatte, die Läden voller Waren, in den 6 Monaten bis Ende 1948 hatte das pro Kopf Einkommen wieder 80% des Standes von 1936 erreicht (von vorher 50%), 1950 war das Vorkriegsniveau erreicht, nach weiteren 10 Jahren hatte sich das Durchschnittseinkommen verdoppelt und Anfang 1970 vervierfacht (Basis 1936).
In der historischen Rezeption wird Ludwig Erhard und seine “soziale Marktwirtschaft“ leider zu oft mit der heutigen Definition eines Nannystaates verwechselt, der seine Bürger ständig bemuttert und sich in ihr Leben einmischt. Dabei war Ludwig Erhard ein klassischer Liberaler, wie folgende Zitate illustrieren:
“Die Volkswirtschaft ist kein Patient, den man pausenlos operieren kann.”
und
“Soziale Sicherheit ist gewiss gut und in hohem Maße wünschenswert, aber soziale Sicherheit muss zuerst aus eigener Kraft, aus eigener Leistung und aus eigenem Streben erwachsen.”
und
“Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen; das erste Postulat kennzeichnet das Ziel, das zweite den Weg, der zu diesem Ziel führt.”
und
„Der Markt ist der einzig demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt.“
Für Ludwig Erhard war der Markt also kein Raubtier, das gezähmt werden müsse, sondern ein Mittel zum Zweck – für Wohlstand und Demokratisierung. Sozial war für Erhard die Marktwirtschaft an sich und nicht entmündigende und korrigierende Eingriffe des Staates. Erhard sah genauso wie Mises und Hayek den Weg zur Knechtschaft eines ausufernden Sozialstaates:
“Die Blindheit und intellektuelle Fahrlässigkeit, mit der wir dem Versorgungs- und Wohlfahrtsstaat zusteuern, kann nur zu unserem Unheil ausschlagen.“
und
“Ich habe diese Flucht vor der Eigenverantwortung drastisch genug gekennzeichnet, wenn ich sagte, dass, falls diese Sucht weiter um sich greift, wir in eine gesellschaftliche Ordnung schlittern, in der jeder die Hand in der Tasche des anderen hat.“
und
„Nichts ist in der Regel unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken lässt.“
Der Begriff “soziale Marktwirtschaft” wurde gar nicht von Ludwig Erhard geprägt, sondern von Alfred Müller-Armack (1901-1978), einem Kölner Ökonom. Müller-Armack wollte damit ein Konzept beschreiben, welches die Leistungsfähigkeit des freien Marktes mit einem sozialen Ausgleich verbindet. Er sprach von einem “Dritten Weg” zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Dabei ist Sozialismus nie ein bisschen richtig, sondern immer ganz falsch.
Ludwig Erhard dagegen sprach in seinen Reden und Schriften fast immer von “freier Marktwirtschaft”. Sein Verständnis der sozialen Marktwirtschaft war ordoliberal mit Fokus auf Marktordnung und Wettbewerb. In diesem Rahmen ist “sozial” ein Ergebnis einer funktionierenden Marktwirtschaft, nicht eine zusätzliche staatliche Aufgabe.
In seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Freiherr-vom-Stein-Preises 1974 beklagt Erhard ganz offen, was aus der sozialen Marktwirtschaft geworden sei:
“Was sind das aber für Reformen, die uns Wände voll neuer Gesetze, Novellen und Durchführungsbestimmungen bringen? Liberale Reformen sind es jedenfalls nicht. Es sind Reformen, die in immer ausgeklügelterer Form Bürger in neue Abhängigkeiten von staatlichen Organen bringen, wenn nicht sogar zwingen.“
Das Wirtschaftswunder war direkte Folge der freien Marktwirtschaft und der Grund, warum diese in der Bevölkerung so einen guten Ruf hat. Leider blieb es nicht so und mit der Zeit kamen Politiker ans Ruder, die immer mehr Umverteilung in das System einbauten und immer größere Geldbeträge aus dem Wirtschaftskreislauf entzogen, mit entsprechenden Folgen für Wachstum und Wohlstand. Wenn es darum geht, wieder in die Erfolgsspur zu finden, ist die freie Marktwirtschaft der richtige Weg.
Wusste schon Ludwig Erhard.






