WZ-Hintergrund: Interview BMZ-StS Flasbarth, Presse zu aktuellen Hungerkatastrophen in Zentralafrik
ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT
Zeit-Interview mit StS Jochen Flasbarth, BMZ: „Man muss auch polemische Kritik ernst nehmen“
Von Franca Wittenbrink, FAZ-online, 18.04.2023, 23:39 (Auszug)
Teuer, ineffektiv, paternalistisch: Entwicklungszusammenarbeit steht zunehmend in der Kritik. Zurecht? Jochen Flasbarth, StS im Entwicklungsministerium (BMZ), über neue Ansätze und Herausforderungen.
Herr Staatssekretär, Sie haben kürzlich den neuen Evaluierungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vorgestellt und gefordert, dass die Entwicklungszusammenarbeit auch zeigen müsse, wo sie keine Erfolge habe. In welchen Bereichen ist das der Fall?
Der aktuelle Evaluierungsbericht der GIZ zeigt vor allem sehr viele positive Entwicklungen – aber eben auch, dass es Verbesserungsbedarf gibt. Zum Beispiel, dass wir im Bereich Digitalisierung einen breiteren Ansatz brauchen. ……
In dem Bericht der GIZ fällt auch auf, dass vor allem die Projekte in Afrika schlechter abschneiden als andere – obwohl der Kontinent mit Abstand die meisten Entwicklungsgelder erhält. Das Problem hält sich seit Jahren. Warum?
Insgesamt – auch in Afrika – sind wir lange zu projektorientiert vorgegangen. Die Entwicklungszusammenarbeit war in der Vergangenheit teilweise zu paternalistisch ausgerichtet. Unsere neue Afrikastrategie ist stärker von einem partnerschaftlichen Gedanken geprägt. Dazu brauchen wir einen strukturpolitischeren Ansatz, müssen stärker über langfristig angelegte Programme und Politikreformen arbeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit Kenia in der Energietransformation, die wir gerade vereinbart haben
Die Migrationsbewegungen aus Afrika in den globalen Norden nehmen seit Jahren nicht ab, sondern eher zu. In Ländern etwa aus Ost- und Südostasien, die sich erfolgreich in die Weltwirtschaft integriert haben, sieht das anders aus. Spricht das nicht eher dagegen, dass Hilfe von außen wirklich wirksam ist?
Das halte ich für eine zu starke Verengung. Flucht und Migration haben wahnsinnig viele Ursachen. Nehmen Sie den Tigray-Konflikt in Äthiopien, vor dem viele Menschen fliehen mussten. War das ein Versagen von Entwicklungspolitik? Waren die Maßnahmen, die wir dort im Bereich Landwirtschaft und Bildung unternommen haben, deshalb falsch? Ich würde ganz sicher sagen: Nein. Der Waffenstillstand in Äthiopien war ein wichtiger Schritt im Friedensprozess, und wir können zum Glück an unsere bisherige Entwicklungszusammenarbeit anknüpfen.
Oder nehmen Sie die aktuellen Migrationsbewegungen aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet nach der Erdbebenkatastrophe. Die Ursache dafür ist doch nicht eine gescheiterte Entwicklungspolitik, sondern ein schreckliches Naturereignis. Und gerade dort müssen wir jetzt aktiv sein.
Mit Blick auf den afrikanischen Kontinent kann man auch ohne Migrationszahlen argumentieren. Die Armuts- und Hungerzahlen haben sich in den vergangenen Jahren kaum verbessert. Ist das nicht deprimierend?
Das stimmt, und daraus müssen wir lernen. Wir haben jetzt über viele Jahrzehnte hinweg die landwirtschaftliche Produktion in Afrika gefördert – gleichwohl steigt der Hunger. In vielen Ländern werden Grundnahrungsmittel noch immer zu großen Teilen importiert, ob wohl sie auch im Land selbst angebaut werden könnten.
Deshalb müssen wir an die Agrarsysteme insgesamt herangehen – und weg von einer reinen Projektförderung von Kleinbauern. Außerdem fehlt es in vielen Ländern an sozialen Sicherungssystemen, was etwa bei Extremwetterereignissen zu Abwärtsspiralen in ganzen Regionen führen kann.
Eine andere Herausforderung ist das rasante Bevölkerungswachstum auf dem afrikanischen Kontinent. Kann die Entwicklungszusammenarbeit da überhaupt mithalten?
Auch in Afrika sinken die Geburtenraten, aktuell schneller, als noch vor wenigen Jahren prognostiziert. Trotzdem gibt es in Ländern wie Mali und Niger immer noch die höchsten Geburtenraten der Welt. Wir können mit unserer Entwicklungszusammenarbeit aber an den Ursachen ansetzen. Oft bekommen Frauen aus der Not heraus viele Kinder, denn sie sind die einzige Möglichkeit, Zukunftsvorsorge zu schaffen. In vielen Ländern ist es auch eine Frage ungewollter Schwangerschaften. Es geht also gerade darum, die Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken und vor allem auch den Zugang zu Bildung – was eines der wichtigsten Anliegen unserer feministischen Außenpolitik ist
Die Bevölkerung in Deutschland sorgt sich derzeit zunehmend vor einem Wohlstandsverlust, die Ausgaben, etwa für die Verteidigung oder in der Klimapolitik, steigen. Wie gehen Sie mit Stimmen um, die dem Etat von mehr als zwölf Milliarden Euro für das Entwicklungsministerium im Jahr 2023 kritisch gegenüberstehen?
Man sollte auf jeden Fall alle Argumente, auch die polemischen und zugespitzten, ernst nehmen. Bezüglich der Zusammenarbeit mit Kenia in der Klimapolitik gab es zum Beispiel einen Kommentar auf Twitter, so nach dem Motto: „Wie viele Schulen hätte man von diesem Geld in Deutschland sanieren können? Aber klar, ihr werft es wieder denen in den Rachen.“ Das könnte man natürlich einfach als dämliche Aussage abtun. Aber es zeigt eben auch, dass es eine Infragestellung gibt – auf die man eine Antwort geben muss.
Und die wäre?
Wer glaubt, dass er in Europa auf einer Insel der Glückseligen lebt und mit den anderen Teilen der Welt nichts zu tun hat, der liegt daneben. Das haben wir in der Pandemie gesehen, aber wir sehen es auch beim Klima – spätestens seit den
schrecklichen Fluten im Ahrtal. Um die Entwicklungszusammenarbeit zu verteidigen, muss man also nicht mal mit Solidarität argumentieren – auch wenn ich das nach wie vor für ein gutes Argument halte. Abgesehen davon gibt es zumindest im Parlament aber einen weitgehenden, überparteilichen Konsens, dass Entwicklungszusammenarbeit richtig und notwendig ist.
Da würden Ihnen allerdings zahlreiche afrikanische Ökonomen widersprechen, die der Entwicklungszusammenarbeit sehr kritisch gegenüberstehen und eher für „Handel statt Hilfe“ plädieren. Sollte man da nicht hellhörig werden?
Na ja, das ist etwas schlicht. Auch für Handel braucht man Voraussetzungen, die häufig erst geschaffen werden müssen. Wir müssen in der Tat die Rahmenbedingungen für Investitionen, auch aus dem Ausland, verbessern. Ein konkretes i piel ist die „Just Energy Transition Partnership“ (JETP) mit Südafrika, die darauf abzielt, erneuerbare Energien zu fördern. Es geht dabei auch um die Unterstützung Südafrikas bei der Veränderung ihres Energierechts. Nämlich so, dass jeder Erzeuger von Elektrizität auch einen diskriminierungsfreien Zugang zum Netz hat.
Wenn das vollbracht ist, dann braucht man für die Errichtung eines einzelnen Windparks keine Entwicklungszusammenarbeits-Gelder mehr. Ziel ist es also, die intrinsischen Kräfte einer nationalen Volkswirtschaft zu unterstützen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron fordert in seiner neuen Afrikastrategie, die „Logik der Hilfe“ müsse einer „Logik der Investitionen“weichen. Afrika sei zu einer Wettbewerbsregion geworden, Frankreich müsse „aufwachen, hingehen und kämpfen“. Gilt das auch für Deutschland?
Die Sprache gefällt mir nicht besonders, aber die Aussage halte ich für richtig. Genau das macht die EU mit dem Programm „Global Gateway“, durch das harte Infrastruktur wie digitale oder Verkehrsinfrastruktur in afrikanischen Ländern
gefördert werden soll.
Also würden Sie Macron zustimmen, dass wir wegkommen müssen von einer „Logik der Hilfe”?
Ich halte das für einen falschen Gegensatz, der der Vielfalt der afrikanischen Länder und ihren unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen nicht gerecht wird. Natürlich braucht es sowohl Investitionen in Bildung, Unterstützung der Zivilgesellschaft als auch konkrete Hilfen bei akuten Hungerkatastrophen. Wir müssen aber stärker als bisher auf langfristige Investitionen setzen. Dazu gehört auch die Unterstützung der wachsenden Start-up-Szene junger Leute in Afrika, um dort kleine und mittlere Betriebe zu schaffen. Es gibt nicht „One size fits all“ – wir brauchen alles.
China ist seit Jahren der größte Investor und Handelspartner in Afrika, Peking investiert in Infrastruktur, Industrie und Handelszentren. Auch Russland und die Türkei ziehen nach. Können europäische Länder wie Deutschland da überhaupt noch mithalten?
Ja, das glaube ich schon. Deutschland hat einen exzellenten Ruf in der Welt – für seine Entwicklungszusammenarbeit und seine Diplomatie, aber auch für das technische Know-how und das Ingenieurwesen. Trotzdem hat der globale Westen zu lange zugesehen, was Pekings offensive Strukturinvestitionen in Entwicklungsländern angeht. Allerdings gibt es auch auf dem afrikanischen Kontinent zunehmend kritische Blicke auf China: Viele Länder sind in Schuldenfallen geraten und konnten kaum von Arbeitsplätzen für bestimmte Infrastrukturmaßnahmen profitieren, weil sie vor allem mit chinesischem Personal besetzt wurden. Der afrikanische Kontinent ist selbstbewusster geworden und sucht sich seine Partner selbst aus. Darin liegen auch große Chancen für uns